20. Juli 2023
Das Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung (ZWW) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) feiert in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag. Aus diesem Anlass beleuchtet das JGU-Magazin in einer Artikelreihe einige Schwerpunkte des Zentrums. Im zweiten Teil geht es um die Lehrkräfte-Fortbildungsreihe "Deutsch als Zweitsprache". Sie vermittelt Kompetenzen, die in Zeiten wachsender Flüchtlingsströme dringend an Schulen gebraucht werden.
"2015 setzte allmählich ein Umdenken ein", erinnert sich Sonja Lux. "Man begann zu begreifen, dass sich Schülerinnen und Schüler ohne Deutschkenntnisse nicht einfach beiläufig in den Unterricht integrieren lassen." Rund eine Million Schutzsuchende kamen seinerzeit nach Deutschland, und die Geflüchteten brachten ihre Kinder mit, die nun irgendwie in den Klassen untergebracht werden mussten. Sie sollten gemeinsam mit den anderen lernen.
"Die Schulen suchten plötzlich händeringend nach Lehrkräften, die solch einer Herausforderung gewachsen waren", erzählt Dr. Gülsüm Günay. Es fehlte an Menschen, die entsprechende Kompetenzen in der Sprachvermittlung mitbrachten. Dieses Thema war bis dato eher beiläufig behandelt worden – wenn überhaupt.
DaZ gewinnt an Gewicht
Immerhin gab es am Zentrum für Wissenschaftliche Weiterbildung der JGU vereinzelte Angebote aus dem Bereich Deutsch als Zweitsprache (DaZ). 2015 wurden diese zu einer kleinen Reihe in einem Umfang von fünf Tagen ausgebaut. "Ich war damals am ZWW allein für DaZ zuständig", meint Lux. Sie schaut zu Günay hinüber. "Du kamst dann 2016 als Dozentin hinzu." Ebenso wie Milena Ivanova, die aktuell Projekte mit ukrainischen Flüchtlingen koordiniert. Mittlerweile gehören alle drei zum festen Mitarbeiterstab des ZWW, unterstützt von Luisa Baum und Paula Hilker als wissenschaftliche Hilfskräfte. Schon diese Entwicklung zeigt, wie sehr DaZ hier in den letzten Jahren an Gewicht gewonnen hat.
"Es gibt drei Phasen der Lehrkräftebildung", erklärt Günay. "Am Anfang steht das Studium in den verschiedenen Fächern und den Bildungswissenschaften, als Zweites folgt das Referendariat an den Schulen und den Seminaren. Das ZWW macht Angebote in der so genannten dritten Phase: der Fortbildung von Lehrkräften, die im Beruf stehen." Das Zentrum bietet hier ein breites Bündel an Themen. Sowohl fachspezifische als auch fächerübergreifende Kurse finden sich im Programm. "Aktuell ist der Bereich DaZ besonders stark nachgefragt", so Günay. Diesmal stellen Geflüchtete aus der Ukraine die Schulen vor Herausforderungen.
"Es gibt ein grundsätzliches Problem", konstatiert Lux. "Deutsch als Zweitsprache ist kein Fach. Man kann es nicht wie Englisch oder Mathematik studieren. Gut, mittlerweile studieren einige Lehramt und Deutsch als Fremdsprache (DaF)/Deutsch als Zweitsprache (DaZ) im Doppelstudium." An der JGU gibt es seit diesem Jahr eine Professur für DaF/DaZ. Mit der Inhaberin, Prof. Dr. Marion Grein, arbeitet das ZWW eng zusammen. Lux schaut in die Runde: "Wir alle, die wir uns am Zentrum mit Deutsch als Zweitsprache beschäftigen, haben Deutsch als Fremdsprache studiert." Im Gegensatz zu DaZ richtet sich DaF an Menschen, die die Sprache nicht in Deutschland, sondern in ihrem Heimatland erlernen.
Fundierte Ausbildung mit Zertifikat
Was nicht als Fach wahrgenommen wird, passt auch schlecht ins Raster des Schulalltags. Vor 2015 war Sprachvermittlungskompetenz im Bereich DaZ selten vorhanden. "Schülerinnen und Schüler ohne Deutschkenntnisse saßen einfach mit im Unterricht und mussten schauen, was sie mitbekamen", erzählt Lehrerin Anne Göttel. "Nur wenn sie Glück hatten, gab es am Nachmittag irgendjemanden, der sich um sie gekümmert hat."
Göttel nahm bereits an einigen DaZ-Kursen des ZWW teil. "In meiner damaligen Schule suchten sie jemanden, der den Bereich übernehmen könnte", meint sie. "Die Wahl fiel dann auf mich, einfach weil ich Deutsch unterrichte. Dabei ist es etwas ganz anderes, Deutsch als Zweitsprache zu unterrichten." Dafür allerdings musste erst ein Bewusstsein geschaffen werden.
"Auch heute rufen manchmal noch Schulen bei uns an und fragen nach ein paar schnellen Tipps, wie sie DaZ vermitteln können", meint Lux. Doch mit schnellen Tipps ist es nicht getan. "Wir sind damals mit dem zuständigen Ministerium für Bildung mit einer fünftägigen Weiterbildung gestartet. Damit konnten wir zumindest eine Basis für eine DaZ-Qualifikation vermitteln. Die Lehrkräfte rannten uns dann förmlich die Bude ein."
"Wir hatten nun eine Basisreihe von drei Modulen", meint Günay. "Doch es blieben immer noch Aspekte unberücksichtigt. Also konzipierten wir 2018 sechs weitere Module, in denen wir Aspekte wie Testen und Prüfen, Phonetik, Interkulturalität oder die Rolle der Fachsprache im DaZ-Unterricht aufgreifen und eine umfassendere Qualifikation der Lehrkräfte leisten können." Mit dem Ministerium hatte das Team mittlerweile 18 Tage für die Fortbildung ausgehandelt. Wer nun alle Module durchläuft, bekommt ein DaZ-Zertifikat. "Auch diese erweiterte Version wurde stark nachgefragt" so Günay. "Aber dann kam die Pandemie ..."
Blended Learning
In allen Bereichen des ZWW gingen die Belegungszahlen in den Keller. "Uns kam zugute, dass wir die Kurse von vornherein als Blended-Learning-Formate konzipiert hatten", meint Lux. "Die anfangs vereinbarten fünf Tage Präsenz fanden wir allenfalls mittelgut, also sorgten wir für eine intensive Vor- und Nachbereitung online, bauten Online-Selbstlernphasen ein, und vermittelten so auch die wichtigsten Grundlagen." Die aktuelle Fortbildung kommt derzeit auf 600 Unterrichtseinheiten, mit denen die Lehrkräfte 20 Leistungspunkte erwerben können. Selbst die 18 Tage Präsenz wurden zeitweise digital abgehalten.
Die Pandemie flaute ab. Dann überfiel Russland die Ukraine. Wieder kamen Geflüchtete nach Deutschland, wieder füllten sich die Schulbänke mit Kindern, die meist kein Wort Deutsch sprachen. Einige Lehrerinnen und Lehrer gab es mittlerweile, die Unterricht in Deutsch als Zweitsprache erteilen konnten. Göttel gehörte dank des ZWW dazu. Doch die Lage war auch diesmal keineswegs rosig. "Oft sind es frisch aus dem Referendariat kommende Lehrkräfte, die mit DaZ betraut werden", berichtet sie. "Für einige ist es Einstellungsbedingung, sich einige Jahre damit zu beschäftigen, und auch die Bezahlung ist oft nicht gut." Studentische Hilfskräfte aus dem Bereich DaF/DaZ waren gefragt. Aber es gab auch Lichtblicke: Einige Schulen hatten DaZ-Abteilungen aufgebaut. Göttel wirkte in Koblenz daran mit.
Das ZWW engagierte sich in dieser Situation ebenfalls. Es baute nicht nur sein Kursangebot aus. "Im Juni organisierten wir für 456 ukrainische Schülerinnen und Schüler digitale Examina, die in etwa unserem Abitur entsprechen", erzählt Ivanova. "Es war ein Kraftakt für uns, Freiwillige mit entsprechenden Sprachkenntnissen zu finden."
Deutsch als Universalschlüssel
Lux zieht Bilanz: "Das Fach, das kein Fach ist, halte ich für wichtiger als alle anderen Fächer. Wer an unseren Schulen die deutsche Sprache nicht beherrscht, ist nicht nur schlecht in Deutsch. Solche Schülerinnen und Schüler können dem Matheunterricht nicht folgen, sie verstehen nichts im Physikunterricht und versagen in Geschichte."
"Die Lehrkräfte, die zu uns kommen, sind hochmotiviert. Sie wissen, wie wichtig Deutsch als Zweitsprache ist", meint Günay. "Wir haben den Anspruch, dass die Dinge, die wir in den Kursen vermitteln, im Klassenraum funktionieren. Bisher waren wir damit erfolgreich – sowohl in Präsenz als auch online. In Abstimmung mit dem Bildungsministerium haben wir eine solide Grundlage für eine DaZ-Qualifikation geschaffen, und wir können noch mehr tun. Ein wichtiger Schritt wäre es, ein verpflichtendes DaZ-Modul für alle angehenden Lehrkräfte im Studium curricular zu verankern und das Thema Sprachbildung in allen Fächern mitzudenken."
Text: Gerd Blase