Weiterbildung als Kernaufgabe der Universität

19. April 2023

Das Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung (ZWW) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) feiert in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag. Aus diesem Anlass beleuchtet das JGU-Magazin in einer Artikelreihe einige Schwerpunkte des Zentrums. Zum Auftakt spricht ZWW-Leiterin Dr. Beate Hörr über aktuelle Herausforderungen und Entwicklungen.

"Wenn man an Universitäten denkt, denkt man nicht zuerst an Weiterbildung", räumt Dr. Beate Hörr ein. "Dabei steht es ganz klar im Hochschulgesetz: Neben Lehre und Studium auf der einen sowie Forschung auf der anderen Seite gehört die wissenschaftliche Weiterbildung zu den drei Kernaufgaben einer öffentlichen Universität." Die Leiterin des Zentrums für wissenschaftliche Weiterbildung sieht hier nicht nur die Hochschulen in der Pflicht: "Es ist eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, Zugang zu qualifizierter Weiterbildung zu schaffen. Ich bin der Ansicht, dass grundsätzlich jedem die Teilhabe an Bildung möglich sein sollte." Dieser Aufgabe hat sich das ZWW seit seiner Gründung im Jahr 1973 verschrieben.

Das dritte Standbein der JGU kommt auf den ersten Blick eher unscheinbar daher: Rund zwei Dutzend feste Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter finden sich in einem Seitenflügel des Forum universitatis, unmittelbar am Haupteingang des Campus. Dort liegt auch Hörrs Büro. "Ich habe 2001 hier angefangen", erinnert sie sich. "Damals gab es gerade mal acht Seminare." Seitdem hat sich einiges getan. Davon will Hörr berichten. Vor ihr liegt die Jahresbilanz 2021 des ZWW. Wenn es um genaue Zahlen geht, blättert sie schon mal darin. Ansonsten aber bleibt das Heft unberührt, denn Hörr kennt die großen Themen ihres Hauses nur zu genau.

"Unmittelbar vor Corona konnten wir gut 7.500 Teilnahmen pro Jahr verzeichnen, bei rund 380 Veranstaltungen mit einem Gesamtumfang von etwa 6.000 Unterrichtsstunden", bilanziert Hörr. "Die Pandemie hat uns dann einen ordentlichen Einbruch beschert, mit einem absoluten Tiefpunkt in Jahr 2020." Das ZWW musste einen Rückgang um 3.000 Belegungen verkraften. "Nun nähern wir uns wieder dem Vor-Corona-Niveau an." Jenseits dieses kurzen Einbruchs zeigt die Kurve des ZWW kontinuierlich nach oben: Hörr und ihr Team konnten das Programm kräftig ausbauen, die Teilnahmzahlen stiegen beständig.

Lebenslanges Lernen

"Der Bedarf nach Weiterbildung ist in den vergangenen Jahrzehnten stark gestiegen", konstatiert die ZWW-Leiterin. "Früher ging man in die Schule, absolvierte eine Ausbildung und arbeitete dann womöglich 40 Jahre im selben Betrieb am selben Arbeitsplatz mit etwa denselben Aufgaben. Das ist mittlerweile völlig anders: Jobwechsel gehören zum Alltag. Daneben verzeichnen wir in den meisten Bereichen immer kürzere Entwicklungszyklen. Schauen Sie sich allein die IT-Branche an: Was Sie heute dort lernen, ist morgen veraltet. Dieser ständige Wandel und das Immer-schneller-Werden erfordern ein lebenslanges Lernen, permanente Weiterbildung."

Hinzu kommt der demografische Wandel: "Die Menschen werden älter und widmen sich nach dem Berufsleben noch mal etwas ganz anderem. Sie möchten vielleicht in die Ägyptologie hineinschnuppern oder noch mal eine Sprache lernen. Für sie haben wir 'Studieren 50 Plus' geschaffen. Dort bieten wir Veranstaltungen auf akademischem Niveau, die für manche sogar den Übergang in ein reguläres Studium bahnen."

Mittlerweile ist der Markt für Weiterbildungsangebote groß und in seiner Vielfalt kaum zu übersehen. "Wir als Bildungseinrichtung ergänzen ihn aber noch mal um eine wichtige Facette", meint Hörr. "Das ZWW bietet akademische, wissenschaftliche Weiterbildung. Das unterscheidet uns zum Beispiel deutlich von den Volkshochschulen." Die Lehrkräfte werden nicht fest eingestellt, sondern bekommen jeweils befristete Lehraufträge. "Rund 50 Prozent stammen direkt aus der Universität, die anderen müssen durch ein enges Nadelöhr an Qualifikationsnachweisen und Anforderungen schlüpfen. In der Regel sollten sie mindestens promoviert sein. Abgesehen davon unterziehen wir uns freiwillig alle vier Jahre einem externen Qualitätssicherungsprozess."

Hörr skizziert drei Säulen, auf denen das umfangreiche Programm des ZWW fußt. "Zum einen beraten wir intern die Fachbereiche der Universität: Wenn jemand eine Idee für einen Workshop oder ein Seminar hat, schauen wir, ob Bedarf besteht, und wir überlegen gemeinsam, wie die Veranstaltung aussehen könnte. Das ist unser Service für die JGU. Zum Zweiten legen wir eigene Angebote am Markt entlang auf – immer möglichst in Zusammenarbeit mit dem universitären Lehrkörper. Und dann rufen wir noch Drittmittelprojekte ins Leben: Wir überlegen, was gewollt sein könnte, was am Markt fehlt, was nötig wäre, und suchen uns Partner für die Finanzierung." Diese Partner allerdings, das betont Hörr ausdrücklich, sollten möglichst aus dem öffentlich-rechtlichen Bereich kommen.

Flexibel auf Bedürfnisse reagieren

"Wir schauen immer sehr genau, wie unsere Zielgruppe aussieht, und schneiden unser Angebot exakt auf sie zu. Das hat sich mittlerweile auch herumgesprochen." In der Lehrkräftefortbildung etwa konnte sich das ZWW einen Namen machen. "Aktuell sind dort Themen wie Deutsch als Fremdsprache oder Deutsch als Zweitsprache sehr gefragt. Angesichts der Flüchtlinge aus der Ukraine fehlt es einfach an Sprachvermittlungskompetenz." ZWW-Kurse in diesem Bereich sind schnell ausgebucht. "Wir brauchen sie jetzt, ganz akut, deswegen weiten wir unser Angebot gerade aus."

Der Bereich digitales Lehren und Lernen steht ebenfalls ganz oben. "Das ist eine gesellschaftliche Entwicklung, die durch Corona noch mal befördert wurde." Hier bietet das ZWW nicht nur Weiterbildungen, sondern hat sich gleich selbst weitergebildet und sein Programm neben den Präsenz- um Online- und Hybrid-Veranstaltungen erweitert. "Aus den Erfahrungen rund um die Pandemie haben wir gelernt. Nun wollen wir das Gute beibehalten."

Grundsätzlich legen Hörr und ihr Team Wert darauf, flexibel auf Ereignisse und Strömungen zu reagieren. "Auch wenn mal etwas nicht interessiert, haken wir sofort nach. Dann kann es durchaus sein, dass eine Veranstaltung ganz schnell rausfliegt. Für die meisten Bereiche gibt es Zyklen, deswegen restrukturieren wir spätestens alle drei Jahre unser Programm."

Flexibilität ist ein wichtiger Faktor für das ZWW, denn: "Im Gegensatz zu Forschung oder Lehre und Studium müssen wir kostendeckend arbeiten. Die Universität gibt uns eine kleine Grundausstattung, aber unsere Weiterbildungsangebote müssen ausfinanziert sein. In dieser Hinsicht funktionieren wir im Prinzip wie eine Firma: Wir müssen schwarze Zahlen schreiben." Hier stützt sich das ZWW neben den Drittmitteln auf die Teilnahmegebühren. Die allerdings sind gedeckelt und richten sich nach der rheinland-pfälzischen Gebührenordnung: Im Moment liegen sie bei maximal 4.200 Euro pro Semester.

Die Kunst der Beratung

Ein Thema liegt Hörr und ihrem Team besonders am Herzen: Weiterbildung braucht individuelle Beratung, zugleich aber ist in Sachen Beratung noch einiges an Weiterbildung nötig. "Mir tun die Verbraucherinnen und Verbraucher leid, die sich unter den verschiedensten Angeboten zurechtfinden müssen. Es landen Leute bei mir am Telefon, die klagen: 'Es ist alles so schön bunt hier, aber wo bekomme ich Orientierung?' Sicher, man kann dazu eine Datenbank anlegen. Das ist nett. Aber ich glaube nicht, dass es zur Zufriedenheit beiträgt. Die Menschen sind froh, wenn wir sie persönlich beraten. Es ist eine Kunst, im Gespräch herauszufinden, was sie brauchen, was sie wollen."

Auch in dieser Kunst bildet das ZWW weiter. "Beratung ist eine ernst zu nehmende, wissenschaftlich fundierte Qualifizierung", betont Hörr. "Sie funktioniert eben nicht nach dem Motto: 'Ich weiß, was gut für dich ist'. Sie bietet Hilfe zur Selbsthilfe. Doch es ist noch ein langer Weg, bis dies Standard wird. Deswegen bauen wir den Bereich in den kommenden vier Jahren aus." Berufsbegleitende Zertifikatsstudiengänge wie "Bildungsberatung und Kompetenzentwicklung" oder "Qualifizierung zum Coach" stehen bereits auf dem ZWW-Programm. "2024 werden wir in Zusammenarbeit mit dem Fachbereich 02: Sozialwissenschaften, Medien und Sport den Weiterbildungsstudiengang 'Professionell Beraten' auflegen."

Weiterbildung ist Hörr ein großes Anliegen, dafür streitet sie: "Ich mache diesen Job seit über 20 Jahren, und ich mache ihn mit Leidenschaft. Ich bin der Ansicht, dass grundsätzlich jedem die Teilhabe an Bildung möglich sein sollte. Ich glaube daran, dass Weiterbildung nicht nur die Leute, sondern unsere gesamte Gesellschaft voranbringt."

Text: Gerd Blase