Digitaler Wandel in der medizinischen Weiterbildung

15. August 2023

Das Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung (ZWW) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) feiert in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag. Aus diesem Anlass beleuchtet das JGU-Magazin in einer Artikelreihe einige Schwerpunkte des Zentrums. Der dritte Teil beleuchtet das Verbundprojekt MeDigOn, dessen Team wegweisende digitale Medien für die Fachweiterbildung von Gesundheits- und Krankenpfleger*innen in der Onkologie entwickelt hat.

Die Patientin steht kurz vor ihrer ersten Chemotherapie. Sie macht sich Gedanken: Was passiert nun mit ihr? Wie wird sich ihr Körper verändern? Was wird aus ihren Kindern, wie werden sie reagieren? Die Sorgen stehen ihr ins Gesicht geschrieben. Angespannt sieht sie dem Gespräch mit ihrer Krankenpflegerin entgegen...

"Wir wollten diese Situation so realitätsnah wie möglich darstellen", erzählt Elisa Kirchgässner, während sie die Spielszene auf ihrem PC per Mausklick anhält. "Deswegen haben wir dieses Video gedreht. Das schien uns der geeignete Kanal. Aber solch eine Produktion ist natürlich aufwändig. Wir mussten ein Drehbuch schreiben. Eine besondere Herausforderung lag darin, Schauspielerinnen und Schauspieler zu finden, die authentisch eine Ärztin, einen Arzt oder eine Pflegefachperson darstellen. Zudem brauchten wir das technische Equipment, passende Räumlichkeiten, Materialien, Requisiten und vieles mehr."

Zertifikatsweiterbildung für Pflegekräfte in der Onkologie

Die Videosequenz ist einer von zahlreichen Bausteinen, die sich am Ende zur zertifizierten Fachweiterbildung "Gesundheits- und (Kinder-)Krankenpfleger*in für die Pflege in der Onkologie" zusammenfügen. Im Zuge eines groß angelegten Verbundprojekts wurde aus einem konventionellen Lehrangebot ein Blended-Learning-Studienkurs. "Mehrwert durch digitale Konzepte (MeDigOn) – E-Learning in der Onkologie: Das Mainzer Modell MeDigOn (M3)" hieß das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Vorhaben. Kirchgässner leitete es von Beginn an.

Anfang 2020 startete MeDigOn. "Wir holten eine ganze Reihe von Partnern ins Boot", erinnert sich Kirchgässner. Von der JGU waren neben dem federführenden Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung (ZWW) das Zentrum für audiovisuelle Produktion (ZAP) sowie das Zentrum für Qualitätssicherung und -entwicklung mit von der Partie. "Von der Universitätsmedizin Mainz nahmen die Pflegewissenschaften und der Pflegevorstand mit Marion Hahn teil. Die Universität Koblenz-Landau kam mit dem Zentrum für Fernstudium und universitäre Weiterbildung hinzu." Kirchgässner war die ideale Person, um diese Partner zusammenzuführen. Sie arbeitete damals in Teilzeit sowohl beim ZAP als auch am ZWW und zusätzlich für die Universitätsmedizin, wo sie aktuell in der Stabsstelle Digitaler Wandel für Lehr- und Prüfsysteme zuständig ist.

Im Gespräch betont Kirchgässner immer wieder, wie wichtig Kurse für Pflegekräfte sind. "Diese Menschen sind als Ansprechpartner*innen immer vor Ort. Es ist entscheidend, dass gerade sie gut und umfassend fortgebildet werden. Bei Krebserkrankungen kommt alles Mögliche hoch, da ist es unbedingt nötig, dass die Pflege auf professionelle Füße gestellt wird."

Mehrwert durch digitale Konzepte

Genau darauf zielt die zweijährige Fachweiterbildung ab, die 2018 im ersten Durchgang noch ausschließlich mit herkömmlicher Präsenzlehre auskam. "In acht Modulen wurden sowohl medizinische Fachthemen als auch Bereiche wie Kommunikation und Beratung behandelt." Ein Modul, das sich auch abgekoppelt vom übrigen Stoff belegen lässt, dreht sich um palliative Pflege, ein anderes um die Selbstpflege: Hier geht es um die mentale Gesundheit der Pflegenden. "Im Modul Pflegewissenschaft schreiben die Teilnehmer*innen ihre eigene Facharbeit." Bei dieser Weiterbildung geht Praxisnähe Hand in Hand mit wissenschaftlicher Reflexion.

"Mit MeDigOn schauten wir 2020 mit Beginn des zweiten Durchgangs, wo wir in der Weiterbildung einen Mehrwert durch digitale Konzepte, durch E-Learning herausarbeiten können." Dies geschah in enger Zusammenarbeit mit den Lehrenden, die sich größtenteils aus der Ärzteschaft der Universitätsmedizin Mainz rekrutierten, aber auch mit Unterstützung der Teilnehmenden selbst, die durch Feedback und Anregungen Impulse gaben. "Die dritte Kohorte, die 2024 den Kurs abschließen wird, arbeitet nun bereits mit unseren Materialien."

Als Dr. Beate Hörr, die Leiterin des ZWW, beim Bundesministerium den Antrag auf die Förderung von MeDigOn stellte, war von Corona noch nichts zu ahnen. "Doch zu Projektbeginn erwischte es uns dann voll", meint Kirchgässner. "Wir mussten neue Wege suchen, um miteinander zu kommunizieren. Das spielte sich zum Glück bald sehr gut ein. Viel wichtiger war jedoch, dass die digitale Lehre durch die Pandemie einen riesigen Schub bekam. Davon profitierte unser Projekt sehr."

Weiterbildung während der Pandemie

Was muss weiter in Präsenz geschehen, wofür eignen sich digitale Kanäle? Um diese Frage ging es zuerst einmal. "Mit Blick auf die Pandemie mussten wir sehr schnell einen Großteil online stellen, und das funktionierte auch recht reibungslos. Gerade die reine Wissensvermittlung lässt sich sehr gut digital gestalten, Selbstlern-Einheiten ebenso."

Doch MeDigOn sollte es dabei nicht belassen. "Wir entwickelten Online-Konzepte für problemorientiertes, fallbasiertes Lernen." So entstanden Videoclips wie jene Sequenz um die Patientin kurz vor der Chemotherapie. "Die Filme werden immer wieder unterbrochen, damit die Teilnehmenden entscheiden können, wie es weitergehen soll." Sie bekommen zum Beispiel in einer Dialogsituation mit Patienten eine Auswahl an möglichen Reaktionen, die jeweils über den Fortgang des Films entscheiden. Zusätzlich liefern kurze Statements von Fachleuten Basis- und Hintergrundwissen zu den einzelnen Aspekten des betreffenden Falls.

"In der Pandemie war es eine besondere Herausforderung, solche Formate zu realisieren. Dafür mussten schließlich viele Leute an einem Ort zusammenkommen. Umso dankbarer waren wir für die engagierte Unterstützung der Kinderklinik und des Tumorzentrums an unserer Universitätsmedizin."

Fülle an Formaten und Materialien für berufsbegleitendes Zertifikatsstudium

Neben den Videos entstanden animierte Kurzfilme und Podcasts. Im Quiz konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nun ihr Wissen prüfen. "Wir konzipierten eine Kachelnavigation, die den Umgang mit unserem Material so übersichtlich wie möglich gestalten sollte." Und dieses Material kam immer wieder auf den Prüfstand: "Wir erkundigten uns bei den Teilnehmenden und den Lehrenden: Was braucht ihr? Was wünscht ihr euch noch?" Das Modul Kommunikation und Beratung etwa wandelte sich in diesem Prozess gründlich: Hier wollten besonders die Pflegekräfte mehr erfahren.

Anfang 2023 lief MeDigOn aus. Die Projektgruppe hat ein vielgestaltiges Kompendium rund um die Pflege in der Onkologie geschaffen, eine Fülle an Formaten und Materialien steht nun für dieses berufsbegleitende Zertifikatsstudium zur Verfügung und kann wegweisend sein für den digitalen Wandel in der medizinischen Lehre. Die Fachweiterbildung "Gesundheits- und (Kinder-)Krankenpfleger*in für die Pflege in der Onkologie" ist mit 770 Stunden Theorie und mehr als 1.900 Praxisstunden aktuell die umfangreichste Weiterbildung, die im ZWW angeboten wird. "Den Pflegekräften sind solche Weiterbildungen sehr wichtig", meint Kirchgässner. "Ich kann sagen, dass unsere Teilnehmenden sehr deutlich den Gewinn und den Fortschritt sehen, den sie nach zwei Jahren mitnehmen. Sie stehen jetzt in ihrem Beruf ganz anders da, viele übernehmen mehr Verantwortung."

Text: Gerd Blase