29. Juni 2020
Unter Federführung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) schlossen sich voriges Jahr sieben europäische Universitäten zur FORTHEM-Allianz zusammen. Sie wollen einen Beitrag zur Fortentwicklung des europäischen Hochschulraums leisten und Modell sein für weitere Hochschulen. Die EU-Kommission fördert das neue Hochschulnetzwerk in einer ersten Pilotphase mit 5 Millionen Euro.
Am 26. September 2017 stellte Emmanuel Macron seine "Initiative für Europa" vor. Darin nahm er auch die Bildungslandschaft und ganz speziell die Universitäten in den Blick: "Wir müssen den Austausch intensivieren, damit jeder junge Europäer mindestens sechs Monate in einem anderen europäischen Land verbracht hat und jeder Studierende bis 2024 zwei europäische Sprachen spricht", forderte er in seiner viel beachteten Rede an der Pariser Sorbonne-Universität. Der französische Staatspräsident machte eindringlich klar, wie wichtig es sei, europäische Universitäten und universitäre Netzwerke zu schaffen und wirklich Ernst zu machen mit der Idee eines europäischen Hochschulraums.
"Er setzte ein ehrgeiziges Ziel", meint Prof. Dr. Stephan Jolie, Vizepräsident für Studium und Lehre an der JGU. "Wir können zwar bereits auf riesige Erfolge zurückschauen. ERASMUS, das Förderprogramm für Auslandsaufenthalte an Universitäten, gehört zum Beispiel dazu: Es ist zweifellos sagenhaft erfolgreich. Aber im Detail holpert es eben doch noch. Gerade mal zehn bis fünfzehn Prozent der europäischen Studierenden profitieren aktuell davon und meist sind es die Bessergestellten mit entsprechendem Bildungshintergrund. Es geht also noch nicht genug in die Breite. Macron wünscht sich, dass bis 2024 mindestens 50 Prozent unserer Studierenden in den Genuss solcher und ähnlicher Initiativen kommen. Doch dazu müssen wir noch einmal einen großen Schritt nach vorn tun."
Studierende stehen im Zentrum
Dazu lädt die FORTHEM-Allianz unter Federführung der JGU ein: Sieben europäische Universitäten schlossen sich zu einem Netzwerk zusammen, das in den folgenden Jahren immer enger geknüpft werden soll. 2019 entschied sich die Europäische Kommission, solche Netzwerke mit einer eigenen "European Universities Initiative" zu fördern. An die 60 Projekte bewarben sich, 17 wurden in einer ersten Phase ausgewählt, da sie besonders geeignet erschienen, die Vision eines europäischen Hochschulraums voranzubringen. FORTHEM ist eine davon.
FORTHEM steht für "Fostering Outreach within European Regions, Transnational Higher Education and Mobility: A pan-European living lab and integrative European University", zugleich aber auch ganz einfach für "for them" – "für sie": für alle europäischen Studierenden. Gemeinsam mit Dr. Tanja Herrmann von der Abteilung Internationales an der JGU leitet Jolie das Projekt. Doch es ist ihm wichtig, eins klarzustellen: "Dies ist keine Initiative, die von irgendwelchen Hochschulleitungen verordnet wird. FORTHEM soll im Austausch mit den Studierenden wachsen. Sie sollen ihre Ideen einbringen, sie werden unsere Allianz prägen und entscheidend mitgestalten. Wir arbeiten studierendenzentriert."
Wenn es um die Zusammenarbeit europäischer Hochschulen geht, hat die JGU einiges vorzuweisen: Rund 1.000 Kooperationen mit 350 Universitäten existieren. "Seit Jahrzehnten pflegen wir besonders enge Verbindungen mit Dijon", geht Herrmann mit Blick auf FORTHEM ins Detail. "Wir konnten eine Reihe gemeinsamer Abschlüsse realisieren und arbeiten auch in der Lehrerbildung eng zusammen." Doch nicht nur die französische Université de Bourgogne, sondern auch die Uniwersytet Opolski in Polen und die Universitat de València in Spanien sind langjährige Partnerhochschulen mit Verbindungen auf vielen Ebenen. "Dazu holten wir noch drei weitere Universitäten mit ins Boot: die Università degli Studi di Palermo in Italien, die Latvijas Universitāte in Lettland und die finnische Jyväskylän yliopisto."
Modell für europäische Universitäten
"Wir wollten mit FORTHEM nicht einfach etwas Bestehendes fortführen, sondern auch etwas Neues präsentieren", sagt Jolie. "Das Netzwerk umspannt ganz Europa. Sehr große Universitäten wie Valencia und Palermo sind dabei. Mit Finnland ist der Norden vertreten, also die langjährigen Sieger in den PISA-Tests, aber auch die Vorreiter beim Thema Digitalisierung, wo das lettische Riga sich ebenfalls hervortut. Mit diesen Partnern wollen wir auf allen Ebenen zusammenwachsen, auch wenn jeder von uns eigenständig bleiben soll." – "Unsere Allianz ist repräsentativ", ergänzt Herrmann. "Es finden sich keine Elite-Hochschulen darunter, auch wenn wir sicher auf vielen Gebieten Herausragendes leisten. Damit sind wir ein gutes Modell für ca. 95 Prozent aller europäischen Universitäten: Was wir jetzt schaffen, können andere später übernehmen."
FORTHEM steht im Moment noch am Beginn: Für die ersten drei Jahre bewilligte die EU-Kommission 5 Millionen Euro. "Auf diesen Zeitraum und über sieben Universitäten verteilt ist das gar nicht mal so viel", meint Jolie. "Aber wir freuen uns natürlich sehr darüber." Dies soll ein erster Anschub sein, der dann in eine zweite Phase mündet, die im Rahmen der neuen ERASMUS-Förderphase von 2021 bis 2027 verortet ist. "Wenn wir dort ebenfalls erfolgreich sind, werden wir wahrscheinlich noch einmal von etwas anderen Dimensionen reden können."
Bereits in dieser ersten Phase ist einiges geschehen: So haben sich neben dem Leitungsgremium drei Mission Boards zu den Bereichen Labs, Mobility und Outreach konstituiert. "Mit den Labs sind Forschungsplattformen entstanden, die sich mit sieben Themen befassen", erzählt Herrmann. "Einige davon suchten die Studierenden selbst aus, etwa das Lab zu Klimawandel und Ressourcen, aber alle beschäftigen sich mit Fragen, die uns in der Zukunft stark betreffen werden." Unter anderem stehen Multilingualität, Migration, digitaler Wandel und Diversität auf der Agenda. "Die Labs verstehen sich als forschende Think Tanks, die zur Hälfte aus Studierenden bestehen. Sie treffen sich bereits virtuell und intensivere Kontakte sind geplant."
Corona als Hürde für FORTHEM
"Die Mobility Mission wird Mobilität für alle ermöglichen", fährt Jolie fort. "Wir entwickeln möglichst inklusive und flexible Studienangebote vom kleinen Online-Kurs bis zum Doppelabschluss." – "In diesem Bereich hatten wir für das laufende Semester insgesamt 15 Summer Schools geplant und mehr als 1.000 Anmeldungen waren bereits eingegangen", berichtet Herrmann. "Aber dann machte uns die Corona-Pandemie einen kräftigen Strich durch die Rechnung." Womöglich werden die Summer Schools 2021 nachgeholt, aber das lässt sich in Zeiten von COVID-19 kaum zuverlässig vorhersagen. Immerhin forcierte die Pandemie den Aufbau der geplanten Digital Academy: Denn digitale Lehrformate spielen nun in allen sieben Partneruniversitäten eine herausragende Rolle.
Die Outreach Mission soll über die Universitäten hinaus wirken. "Wir können vor allem in der Lehrerbildung einiges vorweisen", sagt Jolie. "Traditionell sind wir hier mit Dijon besonders aktiv. Wir entwickeln im Rahmen der Allianz zum Beispiel gerade eine Fortbildung, die sich damit beschäftigt, wie wir den europäischen Gedanken in die Klassenräume bringen können." Zudem wird das gesellschaftliche Engagement Studierender honoriert: Die FORTHEM-Allianz will sie bei ihren vielfältigen Aktivitäten besonders unterstützen.
"Auch wenn einige Herzstücke unseres Projekts wegen Corona leider nicht stattfinden können, arbeitet unser Team weiter unter Hochdruck", erzählt Herrmann. Verschiedenste Bereiche der Universitäten sind eingebunden, an der JGU zum Beispiel das Zentrum für Lehrerbildung (ZfL), der Career Service oder das Zentrum für Qualitätssicherung (ZQ). Zusätzliche Gelder wurden eingeworben und eben erst hat Herrmann zusammen mit der Abteilung Forschung und Technologietransfer (FT) einen Antrag für Horizont 2020, das EU-Programm zu Forschung und Innovation, gestellt. "Unser FORTHEM-Projekt ist extrem ambitioniert", betont Jolie. "Mit der EU-Förderung bekamen wir die maximale Auszeichnung, wir wurden zur Avantgarde erklärt. Diesem Anspruch wollen wir gerecht werden. Wir stehen für den europäischen Gedanken, für Freiheit, Wertegleichheit und Gerechtigkeit, gegen Rechtspopulismus, Hass und nationale Abspaltung."