11. Juli 2024
Gemeinsam mit aktuell acht europäischen Partneruniversitäten ist die Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) in der Hochschulallianz FORTHEM verbunden. Zur Stärkung der Forschungsdimension hat die Allianz die Konzepte und Ergebnisse des Begleitprojekts FIT FORTHEM, das über drei Jahre von der Europäischen Kommission im EU-Rahmenprogramm Horizon 2020 gefördert wurde, in eine eigene Mission für Forschung, Innovation und Transfer überführt. Im Gespräch mit dem JGU-Magazin blickt Prof. Dr. Stefan Müller-Stach, Vizepräsident für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs, in die Zukunft dieser Forschungsmission und kommt auf die Möglichkeiten zu sprechen, die sich Forschenden in allen Karrierephasen in der FORTHEM Alliance eröffnen – Möglichkeiten, die Prof. Dr. Veronika Cummings, Professorin für Humangeographie an der JGU, bereits erfolgreich genutzt hat.

Die Europäische Kommission hat im EU-Rahmenprogramm Horizon 2020 mit dem Begleitprojekt FIT FORTHEM, kurz für "Fostering Institutional Transformation of Research & Innovation Policies in European Universities", die Entwicklung einer gemeinsamen Forschungsagenda für die Partner der FORTHEM Alliance unterstützt. Im Mittelpunkt des dreijährigen Projekts stand der intensive und vertrauensvolle Austausch zu Themen wie Open Science, Wissenschaftskommunikation und Wissenstransfer sowie zu Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit außerakademischen Partnerinnen und Partnern und der Internationalisierung von Forschung.
Nach Auslaufen des FIT-FORTHEM-Projekts und auf Grundlage der hier erarbeiteten Konzepte hat die FORTHEM Alliance mittlerweile eine eigene Mission für Forschung, Innovation und Transfer aufgesetzt, die auf zwei Säulen ruht: Zum einen wird ein gemeinsames virtuelles Büro zur Unterstützung von neuen Initiativen insbesondere im Bereich des Transfers von Forschungsergebnissen in die Gesellschaft und zum anderen eine FORTHEM-Akademie für Forschende in frühen Karrierestufen etabliert.
In insgesamt 12 Folgen des Podcasts "FIT for Europe" werden verschiedene Fragen auf dem Weg hin zu einer allianzübergreifenden Strategie für Forschung und Innovation diskutiert: Welche Ressourcen brauchen wir für die vielfältigen Transformationsprozesse? Wie sieht die tägliche Arbeit unserer am Projekt beteiligten Experten aus? Wie verhält sich eine Hochschulallianz zu Open Science und welchen Einfluss haben wir auf das regionale sozioökonomische Umfeld? Einfach mal reinhören!
Warum sind starke Netzwerke in der Forschung gerade auf europäischer Ebene so wichtig für die JGU?
Müller-Stach: Vom Austausch mit anderen Universitäten, außeruniversitären Einrichtungen und Partnern in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in der Region, in Deutschland und auf der ganzen Welt profitieren wir alle – in der Erledigung unserer universitären Aufgaben und weit darüber hinaus. Damit einhergehen natürlich die Internationalisierung und die Mobilität von Studierenden und Forschenden. Netzwerke wie die europäische FORTHEM Alliance oder der Verbund der Rhein-Main-Universitäten (RMU) bieten in der Forschung viele positive Ansatzpunkte und Chancen, insbesondere auch für den wissenschaftlichen Nachwuchs. In FORTHEM gibt es beispielsweise die Academy for Early-Stage Researchers (ESR), die von der JGU geleitet wird und junge Nachwuchswissenschaftler*innen fördert.
Das FORTHEM-Netzwerk bietet einen optimalen Rahmen, um sich über verschiedene Fragestellungen, Themen und Best Practices auszutauschen, von denen alle gemeinsam lernen können, die wir im besten Falle sogar adaptieren oder übernehmen. Wir laden FORTHEM-Partner in bestehende JGU-Netzwerke ein, um so Forschung, Lehre und Transfer an der JGU weiter zu stärken und beispielsweise auch neue Talente für den regionalen Arbeitsmarkt zu rekrutieren. Auf der anderen Seite bringen wir uns natürlich auch in die Netzwerke unserer Partner ein und steuern Mainzer Expertise zu Fragen und Forschungsthemen bei, die dort aktuell diskutiert werden.
Mir persönlich ist die Idee der "FORTHEM Family" sehr ans Herz gewachsen: Wir lernen miteinander voneinander und nicht selten entstehen in diesem Austausch Freundschaften über Länder- und Sprachgrenzen hinweg, die die Vision der Europäischen Universitäten – und letztlich Europa – mit Leben füllen.
FORTHEM hat sich in seiner ersten Förderphase von 2019 bis 2022 vor allem den Themen Mobilität und Outreach sowie dem Aufbau von thematischen Thinktanks, den FORTHEM Labs, gewidmet. Wie ist es gelungen, Forschung und Innovation als weiteres Schwerpunktthema in die aktuelle zweite Förderphase zu integrieren?
Müller-Stach: Das EU-Begleitprojekt FIT FORTHEM hat hier hervorragende strategische und inhaltliche Vorarbeit geleistet. Als FORTHEM dann in die Vorbereitung des Antrags für eine zweite Förderphase gegangen ist, haben wir die Chance genutzt, Forschung, Lehre und Transfer gleichermaßen in der Allianz zu verankern.

Forschung, Lehre und Transfer sind eng miteinander verzahnt: Unsere Wissenschaftler*innen sind zugleich Lehrende, die in direktem Kontakt und Austausch mit Studierenden stehen, die wir ebenfalls mit an Bord bringen wollen – Stichwort forschungsorientierte Lehre. Um die Wissenschaftscommunity für unser FORTHEM-Netzwerk zu gewinnen, braucht es überzeugende Angebote und Motivation. Die Ermöglichung von gemeinsamen Drittmitteleinwerbungen in EU-Programmen gehört dazu. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind von Natur aus neugierige Menschen, immer interessiert an innovativen Themen, klugen Köpfen und neuen Fördermöglichkeiten – all das können wir in FORTHEM bieten und effektiv gestalten.
In welchen Bereichen von Forschung und Innovation profitiert die JGU am meisten von der Zusammenarbeit mit den FORTHEM-Partneruniversitäten?
Müller-Stach: Hier sind grundsätzlich alle Bereiche in Forschung, Transfer und Nachwuchsförderung zu nennen. Wenn wir beispielsweise die Stärkung des wissenschaftlichen Nachwuchses in den Blick nehmen, kann ich gleich mehrere Beispiele benennen: Im Rahmen von FORTHEM haben wir ein neues standortübergreifendes Mentoringprogramm aufgesetzt, das gerade mit einer ersten Kohorte von 93 Anmeldungen gestartet ist. Auch beim Thema Open Science ist einiges in Bewegung: Nachwuchswissenschaftler*innen können ihre Forschung im neuen FORTHEM Journal online im Open-Access-Format veröffentlichen oder bei Researcher Rallyes präsentieren. Im November findet der 1. Researcher Grand Prix – eine Science Slam mit Nachwuchsforschenden der FORTHEM-Universitäten – an unserer Partneruni in Agder in Norwegen statt. Derzeit bereiten sich Mainzer Promovierende und Postdocs für den Mainzer Vorentscheid am 12. September vor und beim Grand Prix in Agder kann das Publikum an allen Partnerunis dann per Online-Voting den besten Beitrag küren. Das wird ein ganz besonderes Event und wir freuen uns schon riesig! Neben solchen konkreten Umsetzungen tauschen wir uns mit unseren FORTHEM-Partnern natürlich auch zu forschungspolitischen Fragen aus und etablieren ein gemeinsames Lobbying auf europäischer Ebene.

Kooperation in der Forschung basiert häufig auf individuellen Initiativen engagierter Akteurinnen und Akteure. Wie gelingt es zukünftig, verstärkt auch neue Netzwerke innerhalb von FORTHEM zu etablieren?
Müller-Stach: Das ist auf jeden Fall eine Herausforderung, zugleich aber auch eine hervorragende Chance. Wir informieren auf vielen verschiedenen Ebenen über FORTHEM und schaffen Angebote und Anreize, das Netzwerk kennenzulernen und sich einzubringen. Uns ist es wichtig, die Mitglieder unserer Universitäten bereits in die Antragstellung für Initiativen und Projekte der Allianz einzubeziehen. Zudem stellen wir immer wieder die vielfältigen Benefits heraus und zeigen auf, dass die europäische Kooperation in der FORTHEM Alliance zum gelebten Selbstverständnis der JGU gehört – wie auch die regionale Vernetzung im Verbund der Rhein-Main-Universitäten oder unsere Bewerbung in der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder. FORTHEM ist Teil der Gesamtstrategie der JGU mit dem übergreifenden Ziel, die Universität regional, national und international weiterhin gut aufzustellen und zu vernetzen.
Prof. Cummings, wie ist es Ihnen gelungen, FORTHEM als Initialkraft für neue Forschungsprojekte zu nutzen? Und welcher Unterstützung bedarf es Ihrer Erfahrung nach beim Aufbau solcher neuen Netzwerke?
Cummings: Die Allianz bietet in Form der FORTHEM Labs einen ungewöhnlichen Zugang für die konkrete Umsetzung von Forschungsideen, wobei die derzeit neun Labs eine enorme thematische und fachliche Vielfalt bieten. In den Labs schauen wir transdisziplinär auf zentrale Gegenwartsfragen wie Klimawandel und Ernährung, Mehrsprachigkeit und Migration, Digitalisierung, kulturelles Erbe und vieles mehr. Hier kann eigentlich jede und jeder einen Ansatzpunkt finden, das eigene Fachgebiet in irgendeiner Weise anzudocken.
In jedem Lab geht es zunächst darum, die Personen, die an den FORTHEM-Unis zu bestimmten Themenfeldern arbeiten, miteinander zu vernetzen – über Fachgrenzen hinweg. Das ist spannend, da sich auf diese Weise neues Terrain und neue Projektideen auftun – jenseits der gewohnten Pfade, wissenschaftlichen Netzwerke und Fachkulturen. Der institutionelle Rahmen von FORTHEM erleichtert und vervielfacht Begegnungen dieser Art, hilft, Synergien strategisch zu nutzen, und damit sowohl kreativ als auch effizient Neues zu entwickeln. Die Sichtbarkeit auf EU-Ebene und darüber hinaus sowie das offene Kommunikationsprinzip der Allianz ermöglichen eine ständige – interessengeleitete – Erweiterung der Labs mit neuen potenziellen Kooperationspartner*innen.
Ihr Projekt IncluKIT, dass Sie im Rahmen des FORTHEM Labs "Diversity and Migration" umgesetzt haben, wurde von FIT FORTHEM teilfinanziert. Wofür steht das Lab, wofür das Projekt und wie geht es damit weiter?
Cummings: In unserem Lab wird eines der virulentesten gesellschaftspolitischen Themen der EU adressiert: der Umgang mit Migration. Das Lab verschreibt sich den intersektionalen Herausforderungen von Migration, vor allem aber der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Politik, Zivilgesellschaft und NGOs. steht für "Inclusive Intercultural Communication Training Kit for Initial Reception of Migrants" und ist ein Werkzeug, das – basierend auf empirischer Arbeit und der Kooperation mit NGOs – zentrale interkulturelle Herausforderungen in der Erstaufnahme von Migrant*innen europaweit analysiert hat. Das Tool steht in sieben Sprachen als kostenfreies Download zur Verfügung. Derzeit wird das Projekt durch weitere Fallstudien ergänzt und aktuell gehalten.

Welche Bedeutung hat FORTHEM für das Zusammenspiel von Lehre und Forschung?
Cummings: FORTHEM ist eine europäische Campus-Allianz, die die Idee und Umsetzung forschungsgeleiteter Lehre fördert, natürlich unter enger Einbindung, also Partizipation unserer Studierenden. Hierzu gehören neben Summer Schools auch die jüngst etablierten student-driven projects, die Studierende aufsetzen können. So entstehen großartige Synergie-Effekte, gerade auch in Kombination mit curricular verankerten Pflichtlehrveranstaltungen.
Forschungstransfer und die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses sind zwei der drei Säulen der FORTHEM-Forschungsmission. Welche attraktiven Angebote macht FORTHEM in diesen Bereichen?
Müller-Stach: Hier gibt es viele Kontakte mit Industrie- und Handelskammern, auch Auslandshandelskammern, sowie mit Unternehmen in den neun Ländern der Allianz, jede Menge gewachsene Strukturen und Erfahrungen insbesondere bei den nördlichen Partnern. In Summe ist das Netzwerk unglaublich wertvoll, wenn wir es strategisch nutzen. Auch hierzu fallen mir verschiedene konkrete Beispiele ein: Im spanischen Valencia haben sich die Präsidien und Rektorate der FORTHEM-Partner gerade einen großen Science Park anschauen dürfen. Jyväskylä in Finnland hat eine Start-up Factory, mit der wir uns in den Austausch begeben, denn wir wollen in Mainz und innerhalb der Rhein-Main-Universitäten ganz ähnliche Strukturen etablieren.
Mit Blick auf den wissenschaftlichen Nachwuchs ist anzumerken, dass mit einer Fokussierung auf bestimmte Förderlinien in europäischen Förderprogrammen, wie insbesondere die Marie-Skłodowska-Curie Doktorandennetzwerke, oder mit dem Austausch von Postdocs in eben diesem Programm der Bereich Nachwuchs an der JGU weiter strategisch gestärkt werden kann. Unsere FORTHEM-Partner sind daran ebenfalls sehr stark interessiert. Aktuell bringen wir die Doktorandenschulen und Unterstützungseinrichtungen für den Nachwuchs zusammen und werden damit unsere Angebote für diese Zielgruppe stark erweitern können. Langfristig könnte die FORTHEM Academy for Early-Stage Researchers eine international wichtige Rolle spielen.
Wie kann die FORTHEM-Allianz auch für die weiteren Aktionsfelder der JGU – etwa die Rhein-Main-Universitäten oder auch die Exzellenzstrategie – von Bedeutung sein?
Müller-Stach: Dies geschieht in erster Linie in Form gelebter Internationalisierung. Durch das Zusammendenken aller Netzwerke – regional, national, europaweit – entstehen neue Synergien und Möglichkeiten. Auch hier ein Beispiel: Wir stehen im Austausch mit Unite!, das – wie FORTHEM – ein Netzwerk der European Universities Initiative ist und von der TU Darmstadt, einem unserer Partner im Verbund der Rhein-Main-Universitäten (RMU), koordiniert wird. Mit dem RMU-Hub für Wissenschaftler*innen in der frühen Karrierephase wiederum haben wir im Verbund der Rhein-Main-Universitäten eine Anlaufstelle geschaffen, um das Potenzial der europäischen und internationalen Vernetzung von FORTHEM und Unite! bestmöglich auszuschöpfen. Dazu gehören beispielsweise Unterstützungsmöglichkeiten für unsere Forschenden, in denen wir auch auf die Angebote unserer Partner rekurrieren können. All dies stärkt natürlich auch unsere Bewerbung als Verbund der Rhein-Main-Universitäten im Exzellenzstrategie-Wettbewerb.
Welche Bedeutung hat FORTHEM für die Bereiche Internationalisierung der Forschung und internationales Recruitment?
Müller-Stach: Ich sehe hier bereits gute Ansätze, aber es fehlt noch der große Durchbruch. Gerade in den beiden genannten Bereichen ist es sinnvoll, eine gemeinsame Plattform aller europäischen Hochschulallianzen zu denken. Das ist im Aufbau. Verschiedene Allianzen haben sich bereits in thematischen Netzwerken zusammengeschlossen und wir bringen uns dort engagiert ein. Wir blicken gespannt auf die Einrichtung der sogenannten Community of Practice als Netzwerk, in dem dann alle zukünftig 60 Allianzen europaweit zusammenarbeiten. Dieses Netz aus weit über 500 Forschungseinrichtungen sowie deren nationalen und internationalen Partnern könnte gezielt zur Rekrutierung für die Wissenschaft an der JGU sowie für den lokalen und regionalen Arbeitsmarkt genutzt werden. Derzeit ist das noch eine Vision, an deren Realisierung wir aber bereits Schritt für Schritt arbeiten.
Wie kann FORTHEM helfen, die internationale Sichtbarkeit der JGU als starker Player in Forschung und Innovation zu stärken?
Müller-Stach: Alle FORTHEM-Partner sind forschungsstark – teils in ähnlichen, teils in ganz unterschiedlichen Themenfeldern. Die Herausforderung ist nun, etablierte Forschende so in FORTHEM einzubinden, dass sie sichtbarer für alle Partner in der Allianz sind. Es müssen dabei nicht immer die großen Exzellenzprojekte in der Forschung sein, denn es gibt vielzählige Möglichkeiten zur Zusammenarbeit in der Lehre und in Forschungsfragen, die gut in reguläre Veranstaltungen und Projekte eingebunden werden können. Ich denke hier beispielsweise an unser Team-Teaching-Programm: Lehrende von zwei oder mehreren FORTHEM-Universitäten bereiten ein gemeinsames Lernangebot vor und bringen ihre Studierenden in den direkten Austausch mit ihren FORTHEM-Kommiliton*innen in ganz Europa. Oder an digitale Matchmaking-Veranstaltungen, um neue Hochschul- und auch externe Partner in bestimmten Bereichen zu finden, oder den Austausch in thematischen Workshops. Delegationsbesuche von Forschenden helfen ebenso, dieses Zusammenwachsen innerhalb der FORTHEM-Allianz voranzubringen.
Was erhoffen Sie sich von FORTHEM und für FORTHEM in den nächsten fünf Jahren?
Müller-Stach: Weitere gute und pragmatische Zusammenarbeit, für die wir noch mehr Forschende begeistern können, und den Ausbau und die Nutzung von Synergieeffekten innerhalb der FORTHEM-Allianz. Wir arbeiten uns manchmal noch zu sehr an Projektstrukturen ab. Nach meinem Dafürhalten brauchen wir in der aktuellen Phase mehr Kreativbereiche, mehr Offenheit und Flexibilität – aber auch ein wenig Geduld. Alle Universitäten im Netzwerk sollten sich auf die Bereiche der Zusammenarbeit konzentrieren dürfen, die von besonderem Stellenwert für sie sind.